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29 May 2025
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Rückblick: Was wäre gewesen, wenn der Krieg mit der Hisbollah eskaliert wäre?

von Benjamin

Im Frühjahr 2024 war die Sorge groß. Diplomaten warnten vor Reisen in den Libanon, die Hisbollah war aktiv, die IDF reagierte – und viele Experten hielten eine Eskalation für wahrscheinlich. 

Heute, ein Jahr später, wissen wir: Es kam anders. Doch der Blick zurück auf die damaligen Einschätzungen zeigt, wie ernst die Lage damals war. Drei israelische Experten äußerten sich in einem Interview mit der Jerusalem Post zu den möglichen Szenarien, den strategischen Überlegungen und den Konsequenzen – sollte der Krieg mit der Hisbollah tatsächlich kommen.

Prof. Eyal Zisser: „Die IDF ist bereit, falls die Diplomatie scheitert“

Zisser sah die damalige Lage als eingefrorene Konfrontation. Seit acht Monaten lebten Israel und die Hisbollah in einem fragilen Status quo. Beide Seiten wussten, dass ein Krieg wohl mehr zerstören als verändern würde. Ein politischer Ausweg erschien unwahrscheinlich, denn die Hisbollah verknüpfte ihr Verhalten im Norden mit der Entwicklung in Gaza. Auch ein geheimer Rückzug hinter den Litani-Fluss sei denkbar, aber kaum offen kommunizierbar. Zisser meinte: Sollte die Diplomatie scheitern, werde es letztlich eine politische Entscheidung sein, wie viel Druck die israelische Regierung aushält – und ob sie militärisch handelt.

Zisser stellte klar: Nicht jede Option sei ein Alles-oder-Nichts. Auch begrenzte Operationen seien denkbar. Die Hisbollah könne darauf möglicherweise mit Zurückhaltung reagieren, solange Israel Beirut nicht angreife. Israel strebe militärisch vor allem die Ausschaltung der Führung und die Schwächung der operativen Fähigkeiten an. Ohne Bodeneinsatz sei das aber kaum zu erreichen. Die Hisbollah wiederum wolle Symbole – Bilder von durchbrochenen Zäunen, abgeschossenen Flugzeugen und Einschlägen an symbolischen Orten.

Zwar verfüge die Hisbollah über Fähigkeiten, auch israelische Jets abzuschießen oder präzise Ziele zu treffen, doch nicht unbegrenzt. Jeder Raketenstart verrate zudem die Abschussposition – ein Vorteil für die israelische Luftwaffe.

Zisser betonte, dass die Iran-nahe Präsenz in der Region – von Jemen über Syrien bis Irak – unabhängig von einem Krieg bestehen bleibe. Die Hisbollah selbst stehe unter Druck der eigenen Bevölkerung, doch dieser reiche nicht aus, um sie zu entwaffnen. Sollte ein Krieg beginnen, werde entscheidend sein, wer überrascht – doch die IDF sei vorbereitet. Panik sei keine Strategie.

Prof. Gerald Steinberg: „Abschreckung funktioniert nur, wenn Teheran spürt, dass es um sein Überleben geht“

Für Steinberg ist klar: Die Hisbollah sei das zentrale Werkzeug Irans im Stellvertreterkrieg gegen Israel. Wer ernsthaft abschrecken wolle, müsse Teheran treffen – nicht nur Beirut. Der Fehler der israelischen Strategie liege darin, dass sie ihre Drohkulisse auf Libanon beschränke. Dabei seien Irans strategische Schwachstellen – etwa die Ölindustrie – viel verletzlicher.

Ein gezielter Schlag gegen Irans Ölinfrastruktur könnte, so Steinberg, massive wirtschaftliche und innenpolitische Erschütterungen auslösen. Das Regime kämpfe ohnehin mit wachsender Unzufriedenheit. Gleichzeitig müsse auch die westliche Diplomatie umdenken: Vermittlungsversuche wie die von Amos Hochstein dürften sich nicht nur auf Beirut konzentrieren – sondern müssten Teheran direkt unter Druck setzen. Nur wenn das Regime glaube, dass seine Existenz auf dem Spiel steht, sei ein Rückzug der Hisbollah hinter den Litani-Fluss realistisch.

Sollte dies nicht geschehen, drohe ein Szenario, das Steinberg als inakzeptabel bezeichnet: ein begrenzter Krieg mit der Hisbollah, bei dem Israel stark getroffen wird – Iran aber nahezu unberührt bleibt und seine atomare Aufrüstung fortsetzt.

Dr. Omer Dostri: „Israel muss die Hisbollah militärisch besiegen“

Dostri ließ keinen Zweifel daran, was seiner Meinung nach nötig wäre: ein umfassender Krieg. Politische Lösungen seien weder absehbar noch realistisch. Die Vorstellung, ein Rückzug der Hisbollah hinter den Litani-Fluss würde langfristig Sicherheit bringen, sei naiv. Selbst wenn ein solcher Rückzug inszeniert würde, könne die Terrororganisation jederzeit zurückkehren – und internationale Kräfte hätten in der Vergangenheit bewiesen, dass sie kaum wirksam eingreifen können.

Dostri forderte daher eine klare strategische Vorbereitung: Israel müsse die Bevölkerung auf einen umfassenden Krieg vorbereiten. Ziel müsse es sein, die Hisbollah zu zerschlagen, inklusive einer Bodenoffensive und der Einnahme des Südlibanon. Auch Beirut könne dabei ein Ziel sein. Abschreckung reiche nicht mehr – es gehe um die grundsätzliche Zerschlagung der militärischen Infrastruktur des Feindes.

Die Bedrohungslage sei enorm. Über 150.000 Raketen, Präzisionswaffen, Drohnen, Flugabwehrsysteme – die Hisbollah sei militärisch hochgerüstet. Der gefährlichste Teil, eine mögliche Infiltration durch Spezialkräfte, sei laut Dostri durch die IDF rasch gestoppt worden. Doch das Potenzial für massive Schäden bestehe weiter.

Ein solcher Krieg, so Dostri, könne auch einen regionalen Flächenbrand auslösen: Schiitische Milizen aus Syrien und Irak könnten mitziehen, ebenso die Huthis aus dem Jemen. Die USA hätten daher alles daran gesetzt, Israel zurückzuhalten – besonders mit Blick auf die anstehenden Wahlen.

Fazit aus heutiger Sicht

Diese Stimmen aus dem Frühjahr 2024 spiegeln ein Spannungsniveau wider, das heute kaum noch greifbar scheint. Doch sie zeigen auch, wie komplex und gefährlich die Lage damals war. Wer sich heute fragt, wie knapp Israel einem großen Waffengang im Norden entkommen ist, findet hier einige Antworten – und zugleich einen nüchternen Blick auf das, was in der Region jederzeit wieder hochkochen kann.

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