„Das ist schon ein bisschen verrückt, was du machst!“, war die Antwort eines Freundes, als ich ihm mitteilte, dass ich nach Israel auswandern würde.
Manche sagten mir, es sei mutig. Solche und viele andere Aussagen hätte ich reichlich sammeln können. Damals war es für mich in erster Linie „Entschlossenheit“ und die logische Konsequenz für eine gemeinsame Zukunft mit Alex.
Sicherlich, ich brauchte Mut. Es war mutig Haus, Auto und Möbel zu verkaufen, meinen Besitz abzugeben und nur wenige Kisten aufzubewahren. Es war mutig meine geliebte Heimat, meine Familie, Freunde und Bekannten zu verlassen, und zu Alex und ihren Kindern zu ziehen.
Mut bedeutet nicht, dass ich mir keine Sorgen gemacht oder keine Angst gehabt hätte. Ich hatte viele Bedenken. Ich wusste genau, dass in Israel ein anderer Wind als in Deutschland wehte. Bis auf Alex und die Kids wartete niemand auf mich. In Rotenburg, meiner Heimatstadt, war ich bestens verwurzelt. Ich liebte das Kleinstadtleben, meine Arbeit, Teil der Stadt und Gemeinschaft zu sein. In meiner Gemeinde fühlte ich mich zuhause und setzte mich gerne ein. All das würde von heute auf morgen nicht mehr sein.
Alex und mir war sogar klar, welch mühsamer und langer Weg, zu einer dauerhaften Bleibeerlaubnis, vor uns stand. Unsere Familien und Freunde wissen zudem, wie schwer es für mich war, sich hier einzuleben. Zuvor gestaltete ich mein Leben recht extrovertiert, ob im Freundeskreis oder an der Arbeit. Ich erinnere mich an die Vorträge und Schulungen, die ich mit Leidenschaft hielt.
All das und noch viel mehr gehörte nicht mehr zu meinem Alltag. Plötzlich war ich nicht mehr der Beni Funk, den viele kannten. Nein, ich war in unserem 2.800 Einwohnerort einfach der unbekannte „Deutsche“.
Ich habs versucht
Was habe ich mir mit meiner Herkunft, Verhalten und Bemühungen die Hände verbrannt. Es prägte sich ein, dass im örtlichen Einkaufsladen nur selten ein „Boker Tov“ (Guten Morgen) von mir erwidert wurde. Nein, es war nicht meine deutsche Herkunft. Ich war schlichtweg der Fremde. Viele Israelis sind gastfreundlich, doch es gibt besonders in unserer Region Zeitgenossen, die wortkarg und unfreundlich sind.
Als ich damals diese Erlebnisse mit meiner Hebräischlehrerin teilte, meinte sie trocken: „Sei doch froh, dass man dich bedient. Als ich vor 35 Jahren nach Israel kam und eine Frage im Geschäft stellte, drehte sich der Ladenbesitzer einfach um und wartete, bis ich gegangen war.“
Die ersten Monate waren spannend und voll von Neuem
Im ersten Jahr merkte ich nicht, welche Auswirkungen die „Entwurzlung“ aus meinem alten Leben hatte. Alex und ich genossen die Gemeinschaft, ich liebte es, von null auf 100 Vater zu sein. Ich merke aber auch, dass bei mir etwas aus dem Gleichgewicht geriet. Ich schlief immer schlechter und wurde zusehends antriebsloser. Alex gab ihr Bestes meinem „Blues“ entgegenzuwirken, wofür ich ihr bis heute dankbar bin.
Mir fehlte so vieles aus meinem alten Leben. Die Liste wäre lang, all die Veränderungen aufzuzählen, die mein Auswandern mit sich brachte. Mir fehlten ausgiebige Gespräche in meiner Muttersprache. Ich sprach hebräisch wie ein Zweijähriger. Dazu eine Anekdote aus unserem Alltag. Alex wurde bei einem Ausflug von einem Mann (Naher-Osten-Matcho-Mentalität) verbal angefahren. Mein Beschützerinstinkt setzte ein. Mit meinen begrenzten Möglichkeiten wollte ich ihm mit einem: „Hey, was soll das?“, entgegentreten, stattdessen platzte ein: „Hey, wie gehts dir?“, aus mir heraus.
Das stiftete zwar Verwirrung und half die Situation zu deeskalieren, doch das Lachen über die Situationskomik verging mir schnell. Es gab zu viele dieser Erfahrungen, die an meinem Selbstwert kratzten.
Anfangs fand ich es belustigend, dass Alex alles für mich regelte. Denn in Israel geht nichts ohne eine Sozialidentifikationsnummer (ID). Ich hatte keine. Aber man braucht sie für fast alles: bei Kinokarten-Bestellungen, beim Einkauf, für Verträge, Bankgeschäfte oder Arzttermine …. Wie fühlt man sich als Macher und Schaffer dann? Wie ein kleines Kind, dass Mutter anrufen oder mitnehmen muss!
Alex hat sich weder darüber amüsiert, noch mir das Gefühl gegeben, dass ich abhängig von ihr sei.
Mein verlorenes Ich
Doch nach zwei Jahren mit zu wenigen Erfolgserlebnissen und scheinbar nicht aufhörenden Herausforderungen, wachte ich nachts auf, starrte an die Decke und fragte mich: „Wer bin ich eigentlich?“ Und vor allem: „Wer war ich vorher? Bin ich der, der ich mal war oder bin ich der, der ich nun bin?“ All die Veränderungen hatten mein Sein in Frage gestellt.
Vielleicht denkst du jetzt: „Tja, Benjamin, das war vielleicht auch etwas naiv von dir.“ Nein, ich hatte keine fahrlässige Entscheidung getroffen, nach Israel zu gehen. Ich traf eine mutige Entscheidung, trotz vieler Bedenken, Sorgen und Ängste, diesen Schritt zu wagen, gemeinsam mit Alex eine Zukunft zu beginnen. Wir wussten beide, dass er erhebliche Risiken mit sich bringt.
Ein „Mut-Anfall“, wie ich es auch gerne nenne, kommt erst mit der Entscheidung, die wir treffen, mit den Schritt, den wir gehen, obwohl wir Angst und Sorgen haben.
Wir lassen uns zu oft von der Angst des Scheiterns beherrschen und übersehen dabei, dass wir genauso gut erfolgreich sein könnten. Zudem wird unser Mut selten zeitnah mit Erfolg belohnt. Für viele ist das dann Grund genug, getroffene Entscheidungen, zu früh in Frage zu stellen.
Ich hatte früher ein schwieriges Verhältnis zum Scheitern. Heute weiß ich: Die besten Lebens-Werkzeuge bekam ich in Misserfolgen und im Scheitern.
Mein Glaube, keine Beruhigungspille
Meine Hauptquelle für Mut ruht zudem in der tiefen Beziehung zu Gott. Mit ihm durchstand ich bereits so einige Lebenskrisen.
Jede Krise war anders, doch Gott war immer derselbe. Sein Eingreifen in aussichtslosen Situationen, geben mir auch heute die Sicherheit, mutige Entscheidungen zu treffen.
Ich habe genügend Gründe, dass ein oder andere meines Lebens zu hinterfragen. Doch es gibt keinen Grund für mich anzuzweifeln, dass er in mein Leben eingriff und in schweren Stunden mir Hoffnung gab. Das erlebe ich bis zum heutigen Tag.
Ich komme zurück auf das Leben in Israel: Die Entscheidung und das Auswandern nach Israel mögen mutig gewesen sein. Doch den größten Mut brachte ich auf, mich meiner Person und Identität zu stellen. Ganz ehrlich, es gab fast nichts mehr, was wie früher war und genauso fühlte ich mich auch.
Schonungslose Ehrlichkeit
Ich konfrontierte mich offen, ehrlich und schonungslos mit den Veränderungen und deren Auswirkungen. Ich gestand mir ein, dass es mich innerlich zerriss und mir mein altes Leben fehlte. Es kostete Kraft, diese Not, diesen Verlust mir einzugestehen und zuzugeben.
Die große Gefahr bestand nun darin, das Loch in meinem Leben und meiner Seele, nicht sofort mit etwas Anderem zu füllen. Diese Spannung auszuhalten war hart.
Im nächsten Schritt beschlossen Alex und ich, gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen. Was sind die guten Seiten in Israel? Welche Möglichkeiten gibt es für mich/uns? Wofür sind wir derzeit blind? Wie gestalten wir unser Leben, damit es gut ist, damit es lebenswert wird? Aber auch: wer bin ich? Was macht mich aus?
Es gab und gibt bis heute Rückschläge aber uns wurde klar, wie viele gute Möglichkeiten Gott uns schenkt, ein einzigartiges Leben zu führen. Hätte ich mich in meinem Frust oder im Selbstmitleid zurückgezogen, Tag um Tag den alten Zeit hinterher getrauert, mein Blick wäre nie auf das Gute gefallen.
Auf Entdeckungsreise
Schritt für Schritt und über einen längeren Zeitraum entdeckten wir kleine und große Schätze, die Farbe in unser Leben brachten. Alex und ich sind keine Israelis, ja, wir sind Deutsche. Und wir haben die Chance, Gutes aus beiden Kulturen und Leben zu vereinen. Wir haben erkannt, dass wir viel größeren Gestaltungsspielraum haben, als wir annahmen.
Wir erleben Freiheit in unserem Tun und die Sicherheit, die wir im Glauben und in der Beziehung zu Gott haben. Gleichzeitig gestehen wir uns ein, dass uns weiterhin die Heimat, Verwandte und Freunde fehlen
Die große Chance
Wenn im Leben nichts mehr so ist, wie es mal war. Ist das schlimm, ganz klar. Loslassen ist ein Mammutprozess. Aber es kann zugleich die „Stunde null“ für einen Neuanfang sein. Ein Kapitel oder sogar ein Buch mögen ein Ende gefunden haben. Jetzt ist der Freiraum geschaffen, ein neues Kapitel zu beginnen, in dem die Lebensgeschichte eine neue, spannende Richtung erhält.
Eine Geschichte, die es Wert ist, gelebt zu werden. Wenn das Fundament dann noch auf Gott gegründet ist; was kann es Besseres geben? Es gäbe noch so viel mehr zu sagen. Ich beende diesen Artikel mit diesem Satz: „Im Mut liegt ein Schlüssel, ein farbenreiches Leben zu gestalten.“